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EXIT FESTIVAL, 10. Juli -
13. Juli 2008 (Novi Sad, SERBIA)
(von Thomas Hochwarter und Michael Tanki)
Im Land der Riesenmelonen
Das Exit-Festival 2008
Der Titel mag irreführend sein, aber nein,
hierbei handelt es sich weder um einen biederen Reisebericht noch um die
Rezension eines Frühwerks von Franz Antel. Viel mehr ist es eine
Abenteuererzählung – eine vermeintliche. Denn das erwartete Abenteuer
stellte sich nicht ein, fand einfach nicht statt. Manchmal kommt alles
anders als man denkt – und doch wie erhofft. Denn dem Exit-Festival sagt man
nach, schlichtweg das Beste seiner Zunft auf dem Kontinent (diesmal die
britische Insel miteingeschlossen – die Kollegen dort nehmen sich ja gerne
aus, wenn sie von Acts „vom Kontinent berichten“) zu sein.
Dies ist ein Erlebnisbericht, eine Nacherzählung, der Versuch einer
Inhaltsangabe über drei ganz besondere Tage. Man rückte aus – etwas
ungewiss, aber voll Hoffnung auf positive Überraschungen. Als Auslöser bzw.
Inspiration für die viel zitierte Horizonterweiterung darf generelle
Enttäuschung über Bekanntes bezeichnet werden. Wenn sich Langeweile
hinzugesellt, ergibt das eine gefährliche Mischung, liebe Provinzler,
Besserwisser und übercoole Verantwortliche – oder besser
„Weisungsberechtigte“?
Serbien ist zwar nach wie vor mit einem eher negativen Image behaftet (dies
weiter auszuführen macht wenig Sinn, ist diese Angelegenheit doch
vielschichtiger als man es auf tausenden Seiten oder in ebenso vielen Reden
erläutern könnte – im Zweifelsfall Peter Handke nach seiner Haltung zur
ganzen Problematik fragen und sich danach entrüstet geben), geographisch
jedoch alles andere als aus der Welt. Umso nachdenklicher wird man, wenn
einem dadurch bewusst wird, wie nahe der Kriegsschauplatz war.
Nur einige Autostunden benötigt man in das Land, welches nach wie vor seine
Identität sucht und zugleich gegen Vorurteile kämpft. Viel mehr zu einer
Reise, die einen ganzen Tag in Anspruch nimmt, kann das ganze werden, wenn
man mit schäbig ausgedruckten Online-Routenplan-Empfehlungen und sonst nicht
viel (außer der Vorfreude auf ein unbekanntes Festival, den üblichen Ramsch
von Schlafsack über Union Jack und gefrorenem Dosenbier – einer
südburgenländischen Spezialität – im Gepäck) auf den Weg macht. Es gilt nur,
die Irrwege der ungarischen Puszta zu bewältigen. Pferdekutschen, deren
Chauffeure sich im letzten Moment doch noch entschließen, Karl Lagerfelds
neuestes Lieblingsstück vulgo neongelbe Warnweste anzulegen. Zwielichtige
Schweizer Lieferwagen mit in Bulgarien registrierten Anhängern, die den
Eindruck machen, als würden sie sich im nächstbesten Moment selbstständig
machen (eine permanente Bremsspur sowie ein ebenso dauerhaftes Quietschen
als Indiz). Ganz zu schweigen von den Straßen, denen man nicht nur mit der
Bezeichnung Buckelpiste ein Kompliment machen würde (11. Juli 2008 – auch
bekannt als der Tag, an dem sich die Sage vom Planschbecken-großen
„Schlagloch des Todes“ als nackte Wahrheit herausstellte).
All dies überwunden, bietet sich etwas überraschend ein ganz anderes Bild
(die Tatsache, dass man in diesem Moment die Europäische Union verlässt,
sollte man sich vielleicht zumindest durch den Kopf gehen lassen) –
komfortable Straßen, eine anscheinend florierende Landwirtschaft modernster
Prägung (Böse internationale Konzerne haben sich hier verschanzt, um ihren
ganz bösen Gen-Fraß gedeihen zu lassen – Achtung, Ironie!) und schlichtweg
liebliche Ortschaften. Und hier sind wir auch schon bei der Auflösung
angekommen. All jene Leser, die diesen Artikel nur bis hierher überflogen
haben, um zu erfahren, was es mit dem vermeintlich bescheuerten Titel auf
sich hat, können aufatmen. Des Rätsels Lösung: dutzende Melonenverkäufer in
jedem noch so kleinen Dorf sowie in jeder potentiellen Todeskurve der
serbischen Schnellstraßen (Autobahnen: Fehlanzeige – zumindest, wenn man
sich aus Südostösterreich aufmacht, um Novi Sad einen Besuch abzustatten).
Unspektakulär, wird sich so mancher jetzt denken. Nicht ganz, meinen wir –
und haben dabei nicht nur die erwartungsgemäß niedrigen Preise im Kopf. Das
muss man einfach gesehen (und nach Hause transportiert) haben.
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Entsprechend gestärkt und mit großen Erwartungen, trifft man also gegen
Abend in einer Stadt ein, die, wenn man es nicht so genau nimmt (was ja
einmal erlaubt sein darf), als Berlin des Südens bezeichnet werden kann. Ein
bisschen schäbig und nicht gerade schmuck, jedoch zweckmäßig und zeitgemäß.
Einkaufsstraßen, die einen, wenn man seinen Blick über die angesiedelten
Ketten streifen lässt, vergessen lassen, wo man sich befindet. Und Banken,
die einen vergessen lassen, dass man überhaupt Österreich verlassen hat.
Expansion in CEE-Länder, hoch soll sie leben!
Mit der Lokalität, nämlich der Festung Petrovaradin hat man eigentlich schon
halb gewonnen – ein Anblick, der zu begeistern vermag (sollte man etwas
erkennen durch die von der Reise in Sachen Durchsicht etwas in
Mitleidenschaft gezogenen Fenster – man hat sie alle geschlossen, um die
große Party mitzuerleben und nicht kurz vor dem Ziel einer
Kohlenmonoxid-Vergiftung zu erliegen, verursacht vom vor einem fahrenden
„Taxi“ bzw. dessen Ausstoß, der mindestens so übel riecht wie er aussieht).
Um zum – für Event-Puristen – Wesentlichen zu kommen: das Exit ist
hervorragend organisiert. Egal, welchen Aspekt man einer Prüfung unterzieht
– diese Veranstaltung überzeugt auf der ganzen Linie. Hier ist dieser Punkt
eigentlich auch schon abgehandelt, da es dazu nicht viel mehr zu sagen gibt
– außer weiter auszuführen, wie es gemeint ist.
Ein unvorstellbar hohes Aufgebot an Sicherheitskräften sorgt für einen
absolut reibungslosen Ablauf an allen neuralgischen Punkten (Eingang, vor
der Bühne, in dunklen Ecken des Geländes etc.). Was für manch erfahrenen
Festivalbesucher wie eine Horrorvorstellung wirkt, wird hier anders
interpretiert. Denn statt demonstrativer Gewaltbereitschaft von der Seite,
die eigentlich da ist, solche durch bestenfalls intelligentere Maßnahmen zu
verhindern (ein Jammer, dass dies andernorts nicht möglich ist – sei es
durch mangelnden IQ, organisatorische Pleiten oder ansehnliche
Vorstrafenregister), kommt nichts anderes als Offenheit und Coolness – was
dazu führt, dass einem immer wieder ein Schmunzeln aufs Gesicht gezaubert
wird. Selbst eklatante Verständigungsschwierigkeiten, ausgelöst durch
wirklich schlechtes oder gar nicht vorhandenes Englisch, führen nicht zu
Troubles jedweder Art. In Zahlen ausgedrückt – gewaltsame Zwischenfälle: 0.
Dies beweist: es geht auch anders. Dass man wirklich keinen einzigen Platz
findet, um sich ungestört an irgendeinem abgelegenen Absperrungszaun zu
erleichtern, weil einem unerwünscht das Sichtfeld durch neongelbes Plastik
mit Klettverschluss erhellt wird, nimmt man in Kauf. Die gewohnt formschönen
und nicht gerade geruchsneutralen (zaubern kann man halt auch nicht)
Bedürfnisanstalten findet man dafür zuhauf – und zwar weder ausschließlich
an einem Punkt oder auf mehreren Plätze, dafür aber in unausreichender
Anzahl. Sogar bunt bemalt gab es sie – was zugegebenermaßen nichts am Geruch
ändert.
Diese Kunstobjekte fanden sich auf dem Campingplatz des Festivals, welcher
zwar etwas abgelegen (eine halbe Stunde Gehzeit kann nach einer durchtanzten
Nacht zur Belastungsprobe werden) angesiedelt war, jedoch abgesehen davon
keine Wünsche offen ließ. Komplett im Schatten und in ruhiger Lage, dazu
inklusive Internetzelt und Mini-Supermarkt – beides zu mehr als fairen, im
internationalen (Festival-) Vergleich spottbilligen Preisen. Und so ganz
nebenbei befand man sich damit in unmittelbarer Nachbarschaft zum
öffentlichen Donaustrand – Rettungsschwimmer sowie DJ-Lineups und Konzerte
den ganzen Tag über inklusive.
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So fiel es nicht schwer, die drückend heißen Nachmittagsstunden
totzuschlagen, nachdem man selbst als vermeintlich Todgeweihter aus dem Zelt
gekrochen ist, um die Sauerstoffzufuhr zu verbessern und sich zur nicht weit
entfernten Trinkwasser-Station zu begeben.
Serbisches Wasser besticht, ähnlich wie das britische, wenn auch nicht ganz
so ausgeprägt, durch eine dezente Chlornote – was wiederum eine ganz
passable Überleitung zur Mehrheit des internationalen Anteil des Publikums
offeriert: blass, laut und unerschütterlich. Unserer Lieblingsinsulaner
präferieren eben internationalen Billigurlaub, wenn die wichtigste und
größte heimische Veranstaltung mit einem sicherlich nicht uninteressanten,
aber letztlich doch völlig unpassenden Hiphop-Act als Headliner aufwartet,
der sich gerne wichtig macht – und Beachtliches als Produzent leistet, keine
Frage. Trotzdem: Exit is the place to be, mate!
Um einige Kilos schwerer (Sonnencreme!) begibt man sich also Richtung
Festivalgelände (die meisten zwischen 17 und 19 Uhr) oder zum
Camping-Gelände (gerne gegen 8 Uhr Früh), was viele interessante Eindrücke
mit sich bringt.
Vermeintlich illegale Straßenverkäufe (Die Top 3: einheimisches Bier in der
praktischen 2 Liter-Plastikflasche aus der mit Eiswasser gefüllten
Plastikwanne; gekochte Kukuruz a.k.a. Maiskolben; Zigaretten, ganz
komfortabel aus der Stange verhökert. Außer Konkurrenz lief der „Orgasm
Stimulizer“ inkl. „one free trial“ – ja, das sollte man gesehen haben. Ein
kleiner Tipp zur obskuren Form: Das Ding hat auch das Potential, beim
Gelingen des Lieblingskuchen seinen Teil beizutragen.) entpuppen sich als
absolut regulär – mit Vorbehalt. Letzten Endes haben wir es trotz
aufwändiger Versuche nicht geschafft, der Sache auf den Grund zu gehen. Dies
mag daran liegen, dass – so hat es den Anschein – alles so läuft wie es eben
läuft, solange alle damit zufrieden sind. Aufklärung gibt es zuletzt
aufgrund von Sprachbarrieren keine. Andere Mächte scheinen hier im Spiel zu
sein. Übrigens: der italienische Regisseur Matteo Garrone erhielt beim
diesjährigen Filmestival zu Cannes den großen Preis der Jury. „Gomorrha“
befasst sich mit den Machenschaften der ehrenwerten Gesellschaft im Land des
Calcio. Serbien hat auch südliches Flair.
Wandert man also auf der Brücke hinüber auf die andere Seite der Stadt, um
die Exit-Festung zu erklimmen, hat man auch einen schönen Blick auf die
Pfeiler, welche einst die ursprüngliche Brücke von Novi Sad trugen. Die
Schrecken des Krieges sind abgesehen davon jedoch wie weggezaubert.
Vielleicht können sie ja doch zaubern, die Serben. Wie auch immer – der
Stimmung hätten wohl auch andere Rahmenbedingungen und Eindrücke keinen
Abbruch getan. Was vorbei ist, ist vorbei; man lebt im Hier und Jetzt, mit
Blick in die Zukunft. Dies mag kitschig klingen, aber ich habe meine
Zweifel, ob man dies über die Bürger jedes europäischen Landes sagen kann.
Das mit der Stimmung ist jedoch ein Paradoxon. Allgemein ist sie geradezu
unwirklich friedlich, freundlich und ausgelassen – Festivalkultur in ihrer
reinsten Form. Ausgerechnet vor der Hauptbühne entwickelte sich bis auf eine
Ausnahme (Manu Chao am Samstag, in dieser Hinsicht das Exit-Highlight –
jedoch auch nur in dieser Hinsicht) aber nie wirklich ausgelassene
Atmosphäre. Gründe dafür zu suchen macht keinen Sinn. An den Darbietungen
kann es nicht liegen, denn natürlich traf nicht der äußerst
unwahrscheinliche Fall von durch die Bank enttäuschenden Headlinern ein –
ganz im Gegenteil. So bewahren sich das Exit und seine Besucher ein kleines
Geheimnis.
Die Schlussfolgerung, dass dies mit allgemeinem Kräfte sparen für die
Dancing Arena zu tun haben könnte, ist in dieser primitiven Auslegung
selbstverständlich naiv und sicher nicht richtig. Der Publikumsmagnet befand
sich in beeindruckender Lage – hinter der Main Stage, mittlerweile wieder
außerhalb des Areals und zwischen alten Mauern, sodass man sich wirklich in
einer altertümlichen Arena wähnt (oder amüsiert an die peinlichen Tanzszenen
im zweiten Teil der Matrix-Trologie denken muss).
„Es ist alles sehr kompliziert“, pflegte schon Fred Sinowatz zu sagen (nein,
den muss man nicht kennen). Und so wird es schon seine Gründe haben, warum
man trotz genereller Abneigung eben jener Musikrichtung bis sieben Uhr Früh
in der eben umschriebenen Arena verweilt, um im halbwachen Zustand (diverse
Hilfsmittel, um aus dem halbwachen einen vermeintlich wachen zu machen,
hätte es natürlich gegeben – wie es sich hier mit der rechtlichen Situation
verhält, blieb auch hier ungeklärt) die erste Hälfte des viel umjubelten
Sets von 2 Many DJs zu erleben, welche mit „Hey Boy, Hey Girl“ der Chemical
Brothers starteten, um später mit Mr. Oizo endgültig alle zum Auszucken zu
bringen (es wurde also trotz 24 Stunden Wachsein doch noch einiges bewusst
wahrgenommen). Vor ihnen beackerte Laurent Garnier (soll ziemlich bekannt
sein) drei Stunden lang nonstop die Plattenteller. Mit „Born slippy“ von
Underworld (ja, der legendäre Track aus „Trainspotting“) erfolgte die
fliegende Übergabe an die beiden DJs, die sich trotz Eigenbezeichnung nie im
Weg standen.
Der Freitag Abend auf der Main Stage war geprägt von Großbritannien. US
Punkfunk-Band The Gossip lieferten – natürlich vor allem dank Sängerin Beth
Ditto – ein mehr aus würdiges Aufwärmprogramm für einen der Größten der
britischen Musikszene. Paul Weller spielte ein gewohnt dynamisches Set, mit
welchem er einmal mehr seine Dringlich- und Wichtigkeit für das gestern,
heute und morgen der Musiklandschaft unterstrich.
The Gossip
Paul Weller
Gentleman & The Far East Band
Gogol Bordello
Die Stimmung im Publikum als „am Siedepunkt“ zu beschreiben wäre eine
fahrlässige Übertreibung. Viel eher war sie brav, viel braver als der
50jährige Vollblutmusiker und seine hervorragenden Begleiter auf der Bühne.
Trotz einiger Rückkopplungen war der Sound hervorragend und Weller wie immer
bestens aufgelegt. Ocean Colour Scene-Mastermind Steve Cradock gab solide
die nötigen Impulse an der Gitarre – und für so manche Irritation mit seinem
bis oben zugeknöpften grellorangen Poloshirt; Schlagzeuger Steve White (bald
bei Oasis mit von der Partie wie einst Bruder Alan?) ist jedoch nicht mehr
dabei. Das Sascha Madsen-Double lieferte aber auch ordentliche Arbeit ab.
Aussagekräftig war, was sich abspielte, als Paul Weller seine ruhigeren
Nummern anspielte. Während bei den Klassikern „Wild wood“ und „You do
something to me“ Mitgrölen angesagt war, gelang es Weller bei „Invisible“
vom neuen, relativ enttäuschenden Album „22 dreams“ nicht, die ansteigende
Geräuschkulisse (The Gossip fand jetzt quasi nicht mehr auf der Bühne,
sondern davor statt) zu überspielen. Dies scherte ihn jedoch einen Dreck;
stattdessen, so schien es, sang er das Stück für sich selbst – es ist
wahrlich nicht eines seiner besten, jedoch würde so manch andere Künstler
beleidigt abtreten oder auf andere, unartige Weise reagieren.
„Whirlpool’s end“, wohl ganz knapp der beste Song auf seinem besten Album
(„Stanley Road“), feierte nicht nur ein Live-Comeback, sondern bildete sogar
den atemberaubenden Abschluss eines hundert Minuten lang dauerndem Feuerwerk
der Spielleidenschaft. Von den älteren The Jam-Stücken gab es weder „That’s
entertainment“ noch „A town called malice“ oder „Going underground“, sondern
das druckvolle, wenn auch nach wie vor uninspiriert wirkende „Eton rifles“.
Überraschender Höhepunkt des Sets war „Shadow of the sun“; ein schlichtweg
großartiger Song, der gerne übersehen bzw. -hört wird unter all den
großartigen, vor denen es sich (zumindest gedanklich) hinzuknien gilt.
Auch nach Paul Weller blieb die Bühne in britischer Hand, jedoch änderte
sich die musikalische Ausrichtung ganz markant. Primal Scream traten an, um
– so sollte sich herausstellen, einen beträchtlichen Anteil des Publikums
bald wieder zu verjagen. Was war es, was so viele verschreckte? Die
aggressiven Songs wie Opener „Accelerator“, welche zu Beginn zum Besten
gegeben wurden? Bobbie Gillespie war jedenfalls bestens aufgelegt und der
Rest der Band gab sein Bestes, da mithalten zu können.
Wie sich herausstellen sollte, zog es die meisten zur Fusion Stage, um sich
von Vibes und positiver Energie betören zu lassen, wo Gentleman und seine
Far East Band zum großen Love, Peace & Unity-Happening geladen hatten. Dies
hatte zur Folge, dass dieser Bereich des Areals hoffnungslos überfüllt war,
während man vor der Main Stage ausgelassen zu den psychedelischen Klängen
der Burschen aus Glasgow schäkern konnte.
Ganz anders gestaltete sich die Ausrichtung des zweiten (in
Britishrock-Rechnung – unter Berücksichtigung diverser Punkte verzichtete
das Team deines Vertrauens auf Präsenz am ersten Abend des Exit08 – wir
haben uns aber sagen lassen: N.E.R.D. waren ziemlich fad.) Abends: von World
Music über Ethno-Pop bis hin zu Radikalrock lauteten jetzt die Einflüsse
bzw. Ausrichtungen der Headliner des Abends. Gogol Bordello, deren Frontman
Eugene Hütz sich ja dank seiner Film-Kollaboration vom Insidertipp zum
Liebling politisch korrekter Hollywood-Stars gewandelt hat, begeisterten mit
ihrem routiniert durchgedrehten, enthusiastischen Polka-Punk. Die Menge
tobte, Staub lag in der Luft – Parallelen zum Donauinselfest des letzten
Jahres taten sich auf.
Juliette & The Licks
Manu Chao & Radio Bemba Sound System
The Hives
Als Juliette & the Licks die Bühne beraten, fühlte man sich gezwungenermaßen
an das Frequency-Festival 2007 erinnert, wo die Schauspielerin mit ihren
Burschen die Massen ebenso überraschte wie überrannte und begeisterte.
Soviel Einsatz wird immer gewürdigt. Die Feder löste sich bald von ihrem
ursprünglichen Platz im Haar – ein Signal, dass nun diverse Sicherungen
durchbrennen dürfen. Juliette Lewis, die verdammt noch mal endlich als
Musikerin wahrgenommen werden möchte, verausgabte sich on stage völlig, ohne
dass ihre energetische und zugleich präzise Singstimme darunter litt (eher
sorgte die verunglückte Soundmischung für ein ungutes Übergewicht der
Gitarren).
Die Einlage am Ende der Show – Instrumentenwechsel und ein gemeinsamer
Trommelwirbel (gnadenlos von The Sounds abgekupfert, deren Power jedoch bei
weitem nicht erreichte) – war überflüssig und kann als ein Versuch des
Zeitschindens interpretiert werden.
Abgesehen davon lieferte man jedoch eine solide Show, die gekonnt
demonstrierte, wie sich Rock’n’roll anhören und anfühlen muss. Selbst die
Tatsache, dass das Gros des Songmaterials nicht wirklich als markante
Glanzlichter in die Musikgeschichte eingehen wird, entfiel dem vorzüglich
unterhaltenen Zuschauer. Dass „Hot stuff“ nach wie vor der unbestrittene
Höhepunkt der gesamten Darbietung ist, verwunderte jedoch auch niemanden.
Im Anschluss kam beim Set vom globalen Publikumsliebling Manu Chao zum
ersten und einzigen Man wirklich ausgelassene Stimmung auf. Musikalisch
äußerst monoton und mit wenig wirklich überraschenden Momenten ausgestattet,
bleibt es ein Mysterium, was den Mann so überwältigend erfolgreich macht.
Der Sonntag war natürlich vollkommen auf das (erneute) Comeback der Sex
Pistols ausgerichtet. Wer einen musikalisch soliden Auftritt von drei
biederen Herren mittleren Alters erwartete, lag völlig richtig. Aber zum
Glück gibt es da ja noch John Lydon alias Johnny Rotten, der sich einst als
Bürgerschreck und Ikone der UK-Punkbewegung einen Namen machte. Im schicken
Nachthemd gekleidet wurde eifrig Whiskey gespuckt und schräg geschaut sowie
hin und wieder die eine oder andere durchaus seltsame Meldung vom Stapel
gelassen. Und zur Abwechslung und allgemeinen Verwirrung leckte sich der
ehemalige Bewohner der englischen Ausgabe des Dschungelcamps die
Brustwarzen, um „Titties are nice!“ zu jauchzen. Natürlich bekam man alle
Hits zu hören, wobei die wenigsten im Publikum mit einem zweiten
Zugabenblock rechneten – irgendwie war dieser dann auch zuviel des Guten.
Lieber eine eher kürzere Show und etwas mehr Feuer als diese durchgedacht
wirkende Darbietung. Man wusste jedoch zu unterhalten, soviel steht fest.
Untereinander haben sich die vier Herren mittlerweile überhaupt nichts mehr
zu sagen, daraus machte man auch kein Geheimnis – auf der Bühne würdigte man
sich keines Blickes.
Was tat sich sonst noch am letzten Abend des Exit08? Wettermäßig blieb alles
wie es war – gerechnet hatte man jedoch mit heftigen Regengüssen in den
frühen Morgenstunden (also zu einer Zeit, wo man in Novi Sad erst so richtig
zu feiern beginnt). Diese sind zwar ausgeblieben; trotzdem waren die
Veranstalter vorbereitet, was auch kundgetan wurde. Am Eingang wurde man
informiert, worauf man sich wettermäßig einzustellen hat. Und nicht nur das:
Man teilte mit, dass im Fall der Fälle für trockene, überdachte Unterkünfte
für alle Besucher des Events gesorgt ist. Kostenlos, versteht sich. Dies war
ein weiteres, entscheidendes Detail, welches einem klar machte, warum das
Festival so einen hervorragenden Ruf hat. Und von der anfangs erwähnten
Abstimmung darf sich auch die Monkey Island miteingeschlossen fühlen. Jene
im Herzen Europas, die von bedeutend weniger Wasser begrenzt ist, sowieso.
Und bis zum nächsten Mal hat man dann auch gelernt, wie das mit dem
Crowdsurfen funktioniert.
Primal Scream
Sex Pistols
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Thomas Hochwarter (Review)
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